Drama zu Wasser und zu Land

Also, nächster Tag Monterey. Touristenschwärme. Von ehemaligen Zeiten der Stadt der Sardinen gibt es nur noch wenige Zeugen, eine alte verfallene Fischfabrik und das neue Denkmal in der Cannery Row (der Straße der Ölsardinen), das die bedeutenden Personen der Stadtgeschichte zeigt. Obenauf John Steinbeck. Aber auch der Gründer Montereys, der kleine Chinese, der auf einer Nussschale den Pazifik überquerte. Die zerstörten Häuser wurden zwar, ans Original angelehnt, wieder aufgebaut, bergen aber nur Souvenirläden und Touristenrestaurants.

Wir fahren weiter nach Carmel-by-the-Sea, dem Clint Eastwood als Bürgermeister einen Abglanz von Hollywood verpasste. Ein hübscher Ort mit nettem Strand und von dort aus mit kleinem Ausblick nach Norden auf die Hänge, wo Filmgrößen wie Eastwood und u.a. Steven Spielberg ihre ausladenden Villen haben. Es führt zwar der 17-Mile-Drive daran vorbei, den ich so gern gefahren wäre. Wir müssen jedoch das Stück im Landesinneren umfahren, da dieser für Motorräder gesperrt ist. Schade. Es bleibt nur ein nichtssagendes Foto der Hügel von sehr fern.

Weiter gehts Richtung Big Sur. Und es erwartet uns der schönste Teil der Route 101 und der 1, ein landschaftliches Highlight. Wilde, bestrauchte Berghänge zur Linken, die Klippen der ewig rauschenden See zur Rechten.

Nur… mir wird schlecht und ich bekomme furchtbare Magenschmerzen. Mein Darm hat sich vor über einer Woche in Urlaub begeben. Um ihn wieder zu aktivieren, habe ich in Salinas 5 Pfefferminzblättchen gekaut, die im Motel vor unserem Zimmer wuchsen. Und jetzt, ausgerechnet an dem wundervollsten Abschnitt, wo meilenweit kein Ort, kein Restaurant und vor allem nicht ein einziger Baum in der niedrigen Strauchvegetation der touristenbevölkerten Küste zu finden ist… O lieber Gott, hilf mir! Martin gibt Gas und ich halte durch. Es geht. Nur die Krämpfe. Mein Blick aufs Meer fängt plötzlich einen Blas ein und ich heiße Martin an, bitte bei der nächsten Möglichkeit zu halten. Ich will uns doch den Wal nicht entgehen lassen. Der Viewpoint ist schon gut gefüllt mit Menschen und ihren Ferngläsern. Da, der Blas ist wieder zu sehen. Da, in einiger Entfernung noch ein kleiner Blas: eine Mutter mit Kind. Wie schön! Sie tauchen wieder für einige Minuten ab. In der Ferne entdecken wir immer wieder aus den Wellen ragende schwarze Erhebungen. Martin tippt auf Seelöwen. Die Gruppe kommt näher, und siehe da, nacheinander mehrere Blas. Es sind Orcas auf Beutejagd. O Gott! Das Geschehen ist nicht weit vom Ufer entfernt und gut sichtbar. Die Killerwale verteilen sich. Da, der kleine Blas, diesseits, der große in einiger Entfernung auf der anderen Seite der Gruppe. Die Jäger haben es geschafft, das Kind von der Mutter zu trennen. Wir können nicht länger beobachten. Meine Krämpfe und die Übelkeit werden unerträglich, der Kreislauf geht parterre, wir müssen weiter, ein mögliches Versteck suchen. Vielleicht auch gut so. Das Massaker bleibt uns wenigstens optisch erspart. Aber wir wissen, was geschieht.

Einige Meilen später finde ich mich wieder im von Martin fürsorglich an der Straße aufgestelltem Campingstuhl hängend, mit dem Gefühl, gleich zu sterben. Kalter Schweiß, Benommenheit und totale Schwäche hindern mich an der Weiterfahrt. Eine Stunde bin ich nicht fähig. Dann kehren langsam die Lebenskräfte zurück.

Jetzt schmerzt die Seele: Wieder auf dem Motorrad traure ich um das Walkind und seine Mutter. Ich weiß nicht, ob wenigstens sie es geschafft hat. Aber was für ein Weiterleben ohne das Kind….