San Francisco

Ich habe mich verliebt. In die schönste Stadt der Welt.

San Francisco ist die Stadt der Armen, die im Bus, ungewaschen riechend, in ihren zerlumpten Kleidern und Mützen und Handschuhen neben uns sitzen und auf ihren Ausstieg warten, die unvermeidliche braune Papiertüte mit darin verstecktem Schnaps in einer Hand mitsamt dem Stock, die Stadt der Reichen, die sich in Ihren schwarz oder weiß glänzenden Stretchlimousinen von den Luxusyachten oder Golfplätzen in ihre wunderschönen Villen oder Penthäuser chauffieren lassen, die Stadt der Homosexuellen, die hier ein Stadtviertel bewohnen, wo sie unbehelligt von intoleranten Menschen spazieren dürfen, Arm in Arm, und in hübschen Szenecafes die große Liebe oder auch nur Gesellschaft für einen Abend suchen können, die Stadt der Hippies, die schrill gekleidet und mit ihren Dreadlocks in bunten Vintageläden noch schrillere Outfits und Accessoires suchen, um ihrem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen, die Stadt des Transvestiten, der, ganz in e i n e m Rot im Stil des 19. Jahrhunderts gekleidet, mit kupferner Perücke und einem riseigen Hut auf dem Kopf, ein Pläuschchen mit dem Busfahrer hält, mit abgespreiztem Finger, und stolz die bewundernden Blicke der Betrachter genießt, die Stadt der Künstler, berühmt oder nie entdeckt, die Stadt der Schönen, die in den riesigen Edelkaufhäusern das Passende suchen, um mit einem kleinen Bisschen teurem Glanz den Eindruck zu vermitteln, zu den Großen, Reichen und Einflussreichen dazuzugehören, wenige Bahnstationen weiter die Stadt derjenigen, die sich in Drogen oder Alkohol verloren haben und schimpfend oder brabbelnd, zuckend oder torkelnd nach etwas suchen, was sie niemals mehr finden werden, die Stadt der unzähligen Touristen in Fisherman`s Wharf, die den sich am Peer 39 sonnenden Massen von Seelöwen und dem zweifelhaften Charme der zahllosen Souvenirläden verfallen. Und sicher ist es die Stadt von Tausenden von Normalos, die hier in diesem Schmelztiegel der Exotik in Unscheinbarkeit untergehen …

Es war nicht die Stadt der Generationen von Strafgefangene, die sie von der vorgelagerten Gefängnisinsel Alcatraz aus nur von weitem sehen dürfen, da ein Fluchtversuch durch das haiverseuchte Meer den sicheren Tod bedeutet hätte.

Es ist aber die Stadt der amerikanischen Japaner im Japanviertel, die heimatliche kulturelle Beschaulichkeit und Ruhe im japanischen Garten und Teehaus im Golden Gate Park finden, der Amerikofranzosen im French Quarter, der ewigen Italiener mit amerikanischem Pass in little Italy, die dennoch niemals ihre Sprache und Essenskultur ablegen werden, und vor allem der 90.000 Chinesen nicht nur in Chinatown, das den Besucher durch ein weiß-grünes Tor einlädt, mit knallig explodierendem Farbgemisch mitten in den sonst pastell und gedeckt gehaltenen 1-2-stöckigen, Häusern, unzählbar viele davon viktorianisch, die sich schmal, in endlosen Reihen, an die 40 Hügel San Franciscos schmiegen. Hier wird man erschlagen von dem Angebot von Kitsch und exotischer Küche, abartiger Gewürze und Heilkräuter und alt-traditionellen Straßenmusikanten, deren Klänge dem ungeübten Ohr fremd und doch verführerisch anmuten. Wenn man nicht gerade einen Mann an der Seite hat, der äußerlich geduldig, aber dennoch schon auf dem Sprung in die Freiheit von dieser überwältigenden oktopustalischen Umklammerung des guten Geschmacks ist, würde frau ja so gerne noch stundenlang durch die Geschäfte stöbern und den herrlichen asiatischen Duft atmen, von dem sie schon als Kind so fasziniert war. Aber das kann ich Martin nicht antun. Vor einem chinesischenTempel werden wir noch Zeugen einer religiösen Zeremonie, der Weihe von Lebensmitteln, bei der unzählige Räucherstäbchen in die Plastikumhüllungen von Reis, Nüssen, in Wasser- und Sonnenblumenölflaschen gesteckt, entzündet und dann von einem Priester in reich besticktem buntem Ornat gesegnet werden, gesäumt von ins Gebet versunkenen vorwiegend alten Frauen, und wir mittendrin. Welch andere schöne Welt.

Und es wird einem wehmütig ums Herz, daran denkend, wie schön doch diese Welt in ihrer Vielfalt ist, selbst wenn wir in unserem Leben nur einen Bruchteil davon sehen, erfahren und erfühlen dürfen.

San Francisco, der Mikrokosmos.

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Tag 3:

Hier darf jeder einfach s e i n.