Auf schlechten Straßen im Staate New York

Es regnet. Eigentlich wollen wir heute 200 Meilen fahren. Kein Drandenken! Nach 2 Stunden und 80 Meilen sind wir so durchgefroren, dass das gute warme Essen der altehrwürdigen amerikanischen Countryküche in unserem vor kurzem entdeckten Country Restaurant „Cracker Barrell“ = „krachendes Fass“ und selbst der warme Tee nicht mehr helfen. Wir nehmen das nächstbeste Motel, streifen die nasse Regenkleidung und den tropfenden Helm ab, kuscheln uns ins warme Bett nach einer heißen Dusche und sehen fern. Abends gibts ne Kleinigkeit im nahen kleinen holländischen Restaurant und danach schlafen wir tief und fest.

Am nächsten Morgen gehts weiter. Das Wetter wird immer besser, die Straßen nicht. Also rauf auf die Interstate. Dort macht sich Langeweile breit. Wir sehen nichts als Wälder, wenn die Randbepflanzungen mit Bäumen mal unterbrochen sind. Bäume, Bäume, Bäume. Ich beginne die toten Rehe am Straßenrand zu zählen, manche wohl erst in den frühen Morgenstunden überfahren, manche liegen schon länger da. Ich komme innerhalb von 2 Stunden auf 14 Tiere. Das Herz tut mir weh angesichts dieser schönen Tiere, die hier ihr Leben lassen mussten.

Endlich passieren wir die Grenze nach New York. Aber da geht es gerade so weiter: Bäume….

Irgendwann taucht eine Stadt auf, Albany, die kleinste Hauptstadt in den USA. Aber wir fahren dran vorbei, haben wir doch ein Zimmer in Troy, ein paar Meilen weiter, gebucht.

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Troy liegt am Hudson River, und wir fahren über eine große Brücke.

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Die Straßen sind voller Schlaglöcher, und wir hopsen auf unseren Sätteln herum, manchmal schmerzen diese Schläge im Nacken. Als wir in die Old 6th Street reinfahren wollen, ist es eine Einbahnstraße, die voll ist mit Farbigen, die vor einem Tisch mit vielen Kerzen und rosa Luftballons herumgruppiert stehen. Wir müssen außen herum. Die richtige Einfahrt ist ebenso bevölkert; sie sitzen auf den Eingangstreppen, auf dem Bürgersteig, auf den Feuertreppen und spazieren druch die Straßen. Es erinnert uns an Afrika. Irgendwie scheint da was mit dem Kerzen- und Luftballontisch zusammenzuhängen. Wir suchen die Hausnummer…38, finden aber nur eine …37. Wir fahren die erste Straße rechts ab und halten in der Parallelstraße. Bei den vielen Warnungen vor den Schwarzenvierteln fahren wir lieber nicht durch die Old 6th. Aber es ärgert mich, dass wir nicht unbefangen sein können und Angst vor den Schwarzen haben! Ich steige ab und gehe zurück. Da stehen doch ein Sheriff und ein Weißer im Anzug. Ich marschiere auf den Sheriff zu und frage nach der Hausnummer. Er zeigt auf das Haus gegenüber, auf der Treppe lauter jugendliche Schwarze. Der Sheriff fragt mich, was wir da wollen. Ich sage ihm, dass wir ein AIRBNB- Zimmer gebucht haben. Er antwortet, wir sollen bloß weiterfahren, den Hügel hinauf, dort wäre ein Hotel. Er sagt, er würde hier nicht bleiben. „Das sind lauter Mörder hier!“ Na Prost Mahlzeit! Jetzt hab ich aber Muffensausen. Ich gehe zurück zu Martin, der um die Ecke vor einer großen Garage wartet, die inzwischen von unserem Hausherren, einem weißen Lehrer, geöffnet worden ist. Ich erzähle, was der Sheriff gesagt hat. Er versichert, dass hier 25 Jahre, solange er hier wohnt, nichts vorgekommen ist. Ich hab so meine Zweifel. Und trotzdem…. Später wird mir bewusst, wer die Warnung ausgesprochen hat: ein weißer Sheriff! Es sind die Sheriffs, die in der jüngsten Vergangenheit auf unbewaffnete Schwarze geschossen haben. Es wird uns wieder bewusst, welche Kluft immer noch zwischen Schwarzen und Weißen herrscht, welche Vorurteile, welches Misstrauen, auf beiden Seiten!

Die Garage ist voll von Gerümpel, und Richard muss erst einiges verräumen, damit wir unseren Kokopelli und die Harley auch darin unterstellen können. Ich bin immer noch unsicher, ob wir da bleiben sollen. Aber gut, wird schon nichts passieren. Wir nehmen mutig an und lassen uns durch den kleinen Hof ins Hinterhaus zu dem kleinen Zimmer führen, Küche und das frisch renovierte Bad teilen wir uns mit dem jungen Engländer Terry teilen, der für ein paar Tage auch hier eingemietet ist, um in Troy einen Job zu suchen – er ist gerade mit dem Studium fertig geworden.

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Wir erfahren später, dass der Kerzenaltar in der Old 6th Street einem 18-jährigen jungen Mann gewidmet ist, der 3 Tage zuvor in Albany von einer rivalisierenden Drogengang erschossen worden ist. Er war früher ein Schützling von Richard gewesen, der als Tutor und sozial arbeitender Lehrer tätig ist. Er sagt, die meisten der schwarzen Jugendlichen haben keine Chance hier, lungern arbeitslos herum und wählen den falschen Weg, um schnell zu Geld zu kommen. Wir sehen in den nächsten Tagen in diesem Viertel öfters mal junge Kerle in Superschlitten herumfahren.

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Richards Frau Jeannie, Grundschullehrerin, lernen wir bald auch kennen, und die beiden laden uns ein, den Abend mit ihnen in ihrem Zweithaus am Fluss, 6 Meilen entfernt, zu verbringen. Gerne lassen wir uns von ihm durch Troy, mit den Ziegelbauten, die an die Arbeitervorstädte Londons erinnern, und zu den Wasserfällen des Mohawk Rivers, der gleich ein paar hundert Meter weiter in den Hudson mündet, fahren.

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Dann kaufen wir noch ein. Anschließend verbringen wir den Abend auf der Terrasse mit einem brasilianischen jungen Paar und Andrea, irischstämmig, die mit einem Deutschen liiert ist und im Sommer nach Deutschland in Urlaub fliegt.

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Spät kehren wir zurück in unser Heim zwischen „Mördern“.