Leuchtfeuer(chen)

Eh wir uns versehen, sind wir schon in Maine. Das Wetter wird besser. Viele kleine hübsche Häuschen am Straßenrand mit blühenden Rhododendren. Wir kommen durch einen Ort namens Mechanic Falls, nach dem kleinen Wasserfall an einem Wehr benannt, und entdecken gegenüber einem Veteranendenkmal ein kleines einladendes Café – wohl gemerkt, hier ein Restaurant. Wir haben Hunger und kriegen ein leckeres Mahl. Nebentisch ein Öhli – so nennen wir die vollbärtigen Wurzelmänner, frei nach Johanna Spyri – mit seiner Tochter, der uns sehr freundlich in schier unverständlichem Slang anspricht. Wohl dem, der die Hochsprache beherrscht. Oder besser wohl dem Zuhörer eines solchen. Wir lächeln halbsüß, nicken verstehend, Konzentration hoch 3. Was meint der bloß? Man kann ja nicht jeden Satz dreimal nachfragen! Seine Tochter meldet sich zu Wort – die verstehen wir, und wir schließen scharf, dass es sich um eine Empfehlung für einen Ort in Maine handelt. Haa, geschafft. Bei Fragen seinerseits wird es schon schwieriger. Aber mit Lächeln und dem üblichen Gschichtle retten wir uns, wie schon so oft, über die Situation.

Weiter gehts, vorbei an atemberaubenden Lupinen- und Margeritenwiesen, alten Friedhöfen und „Vorsicht Elch“- Schildern, zu Anne am Round Pond.

Ein schönes weißes Haus nahe einem Waldrand, gegenüber eine riesige leuchtend gelbe Sommerwiese mit Hahnenfuß.

Anne, eine patente, resolute, fröhliche, blonde, temperamentvolle, energiegeladene 70erin – man glaubt es kaum – begrüßt uns mit vor Energie sprühenden blauen Augen. Durch ihr Atelier, in dem die Immobilienmaklerin, die für Sotheby’s arbeitet, frühere Arbeiten auf Staffeleien und allerlei Krimskrams aufbewahrt, betreten wir den großen hellen Wohnbereich, offene Küche, helles Holz, naturweiße Stoffe, ebenso wie in unserem Zimmer. Überall liebevolle Dekoration  – auch im Außenbereich – mit selbst gesuchten schönen großen, oft glitzernden Steinen, Halbedelsteinen manchmal, und in dem wundervollen, ebenso hell strahlenden Porch Hunderte von großen und kleinen Muscheln und Schnecken…Anne ist eine Sammlerin. Im Winter lebt sie in ihrem Haus im heißen Arizona, im Sommer hier in Round Pond, wo sie aufgewachsen ist. Die Steine hat sie alle selbst gesammelt. Wir beschnuppern uns erstmal, aber schnell stellt sich raus: Wir mögen uns. Und in der einen Woche wächst sie uns immer mehr ans Herz.

Am nächsten Morgen unternehmen wir einen Ausflug zum Leuchtturm nach Pemaquit. Das erste Lobsterbrötchen: verspeisen wir in den schönen amerikanischen Gartenstühlen, die man überall sieht, mit Blick aufs Meer – mmmh!

Abends nimmt uns Anne mit zu einer tollen Musikveranstaltung, und zwar mit heißem Reifen über all die Schlaglöcher, denn die Straße hier macht New York State durchaus Konkurrenz! Dabei ist es egal, wenn manchmal zwei Reifen auf das Bankett abdriften. Sie meistert es virtuos. Die Stoßdämpfer auch. In dem kleinen Lokal kann jeder ein bis drei Stücke vokal oder instrumental vortragen, wenn er sich vorher in eine Liste einträgt. Oft bleibt der Hobbymusiker nicht lange allein auf der Bühne, denn die Frau des Besitzers, Jane Birkin ähnelnd, begleitet ihn am Bass, ihr Sohn am Schlagzeug. Manchmal gesellt sich ein Zuschauer dazu und schnell ist eine Jamsession zusammengewachsen, die ihresgleichen sucht. Sollten wir in unserer Gegend auch einführen!

Wir kommen um 11 Uhr nachts zurück. Was ist das? Wir trauen unseren Augen nicht: Rund ums Haus, auf den Wiesen, in den Bäumen, auf der Wiese gegenüber der Straße Millionen, ja wirklich Millionen von Glühwürmchen! Überall um uns herum leuchtet und blinkt es grünlich. Es ist atemberaubend! So etwas haben wir noch nie gesehen. Auch Anne n icht. Sie sagt, Glühwürmchen fliegen nur eine Woche im Jahr. Und gerade da, bei diesem riesigen Hochzeitsfest, sind wir anwesend. Wieder so ein Glück!

Den ersten rot  leuchtenden Lobster essen wir zusammen mit Clam-Muscheln, einem Töpfchen Salzwasser und einem elckeren Sößchen frisch vom Fang am Hafen von Damariscotta, dem nächstgrößeren Städtchen. Wow, ist das lecker! Die Tide ist hier sehr groß. Und bei Ebbe riecht es ziemlich brackig.

Anne hat noch eine Mitbewohnerin, Amy, eine fröhliche, allzeit vergnügte, auch gerne lachende Frau – auch sie mögen wir sofort. Sie wohnt seit zwei Wochen hier und arbeitet seit kurzem als Pflegekraft für Alzheimerpatienten.

Am Samstag bringt ein Freund von Amy ein wundervolles Frühstück für alle und wir feiern Annes Geburtstag. Am Nachmittag versuchen wir mal wieder unser Angelglück am Round Pond, einem der ganz wenigen Zugänge zum Wasser, die wir in Maine gefunden haben. (Die Ufer sind meist in Privatbesitz.) Natürlich wieder mal vergeblich. Das Wasser ist noch viel zu kalt nach diesem harten Winter. Abends gehen wir dann mit Anne zum Lobsteressen am Round Pond.

Die beiden Frauen raten uns zu einem Besuch der Insel Monhegan, auf die uns eine knapp einstündigen Fahrt übers Meer bringt. Etwa 20 m entfernt gleitet backbord eine riesigen Haifischflosse vorbei und versinkt nach 30 Sekunden wieder in der Tiefe. Endlich haben wir eine gesehen. Das muss ein Kaliber gewesen sein! Die Flosse maß an der Basis mindestens 50 cm!

Die Insel ist idyllisch. Es gibt keine Autos, dafür schmale Wege, kleine Fischerhäuschen mit den Lobsterreusen, ein Kirchle, und kleine Läden mit Kunsthandwerk. Wir spazieren im strahlenden Sonnenschein an die Südspitze, wo wir sogar das verrostete Wrack des Kohledampfers D.T.Sheradon vorfinden, der 1948 in dichtem Nebel an den Felsen zerschellte. Dank des damaligen Leuchtturmwärters wurden vorher alle 9 Besatzungsmitglieder von Bord geholt.

Wir wandern an Lupinenwiesen, hübschen Fischerhütten mit Stapeln von Reusen, Lädchen mit Kunsthandwerk und einem Kirchlein vorbei zum südlichen Ufer, wo das Wrack eines 1948 im Nebel gestrandeten Schiffs liegt, dessen neun Mann Besatzung gerettet werden konnte dank des damaligen Leuchtturmwächters.

Es ist herrliches Wetter und wir genießen den Ausflug. Der Rückweg führt an der Kirche vorbei, wo Mitglieder einer Kommune, die wir schon auf der Herfahrt singen und spielen hörten, ein Konzert geben. Die Hare Krishnamusik ist uns allerdings keine 10 $ Eintritt wert. Wir genießen lieber Sonne, Wind, Meer und ein Bierchen in der klitzekleinen Brauerei der Insel.

Die Fähre führt uns auf der Rückfahrt an einer Seelöweninsel vorbei. Ein kleiner Seal schwimmt sogar weit entfernt im Meer und taucht erschreckt ab, als er das Schiff bemerkt.

Ein hübscher Ort ist Booth Bay, das wir am nächsten Tag besuchen. Leider regnet es sich dort ein. So durchwandern wir einige Shops, um dann im Regenzeug wieder zu Anne’s Haus zurückzufahren.

Dort ist es gemütlich! Selbst in dieser feuchten, kühlen Nacht sehen wir noch vereinzelt Glühwürmchen ums Haus leuchten. Aber die meisten haben offensichtlich die letzten Tage schon einen Partner gefunden.

Zu einem 2. musikalischen Abend nimmt uns Anne nach Waldboro mit. Das ist nun wirklich eine Jamsession. Ein sehr sympathischer Apotheker sitzt mit uns am Tisch und es entwickelt sich ein nettes Gespräch zwischen ihm und Anne. Er wäre ein idealer Partner für sie, ist aber leider verheiratet. Schade, wir hätten es ihr so gegönnt. Die Musik ist vergnüglich, es kommen Leute dazu, es gehen Leute weg, wir haben Spaß.

Am nächsten Tag heißt es Abschied nehmen, wieder schweren Herzens. Und in den Augen leuchten Tränen. Wir hoffen, dass wir Amy und Anne einmal wiedersehen.