Boston, the cradle of liberty

Am Freitag, den 03.07.15, fahren wir nach Boston. Wir haben Zeit und vermeiden die Interstates weitgehend. Die letzten 30 Meilen müssen wir dann aber doch auf die Mehrspurige und entdecken für US Verhältnisse recht viel Müll an den Straßenrändern: Schnapsfläschchen (hier scheint man im Auto auf die Alkoholbeschränkungen zu pfeifen), Schuhe, die üblichen Tierkadaver usw. Offensichtlich greift das in den USA über weite Strecken verbreitete Modell „Adopt a highway“, bei dem Bürger sich verantwortlich für einen bestimmten Streckenabschnitt zeigen, hierzulande nicht so richtig. Wir fahren ein gemäßigtes Tempo, weil die Straßen teilweise in einem richtig miserablen Zustand sind. Erstaunlich, was so eine Motorradsuspension auf Dauer aushält – und unsere Bandscheiben. Endlich nähern wir uns Boston, der Hauptstadt des Bundesstaates Massachusetts.

Eine Woche wollen wir dort verbringen und haben uns wieder mal über Airbnb eine Bleibe gebucht. Wir landen in einem Schwarzenviertel ca. 3 Meilen vom Zentrum entfernt. Ganze Familien sitzen auf unserer kleinen Straße vor ihren Häusern und sind lautstark mit den Vorfeiern beschäftigt. Laute lateinamerikanische Musik empfängt uns und wir verstehen Kathe kaum, die mit Schwester und Mutter die Unterkunft managed. Sie zeigt uns das Dachgeschoss und wir registrieren, dass die Hitze der Stadt auch hier oben Einzug gehalten hat: Es gibt keine Air Condition! Dafür nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis, dass wir außer einem kleinen Schlafzimmer auch ein Wohnzimmer, kleines Bad und Miniküche ganz für uns haben. Der seperate Eingang führt über eine schmale Treppe 2 Stockwerke nach unten. Motorrad und Kokopelli stehen auf der Straße: „No problem!“ meint Kathe und sie hat Recht.

Der kommende Samstag ist einer der wichtigsten Nationalfeiertage der USA, insbesondere aber für Boston mit seiner herausragenden historischen Position: der 4.Juli, der Independence Day. Wir fahren mit Bus und Metro nach Downtown und suchen die entsprechenden Veranstaltungen, z.B. eine Parade etc., aber wir werden nicht fündig. Es ist auch schon Nachmittag und die Sachevermutlich bereits gelaufen, falls überhaupt was stattfand. Deshalb folgen wir dem Tipp des Visitor Centers und spazieren ins Hafenviertel, da soll etwas los sein. Aber außer dem üblichen Künstlermarkt, Jongleuren und Breakdancern geht auch hier nicht viel. Wir genehmigen uns lieber Fish & Chips auf einem der zahlreichen Piers und marschieren weiter. Langsam lernen wir die Stadt kennen und uns zu orientieren.

Also ab in die U-Bahn, Rote Linie, und über den Charles River, denn wir wollen das als spektakulär angekündigte Feuerwerk, das von Booten auf dem Charles River gezündet wird, vom jenseitigen Ufer aus miterleben, um die Skyline Bostons vor Augen zu haben. Beide Flussufer sind frühzeitig für den Verkehr gesperrt und wir reihen uns gegen 19.30 Uhr in den Strom der Menschen ein, der sich aus U Bahn-Schächten und Seitenstraßen mit Proviant und Decken bepackt Richtung Flussufer ergießt. Eine gigantische Flutwelle von Feiernden schwappt durch die den Fluss säumende Allee und wir achten darauf, nicht zu weit von unserer Einfallsstraße weggespült zu werden, um später schnell wegzukommen. Wir suchen uns einen Sitzplatz, das heißt ein kleines Stückchen Rasen, das wir mit meiner Motorradregenjacke ausstaffieren. Um uns Multikulti und Fröhlichkeit, dazu hervorragende Livemusik, die wir allerdings nur aus Lautsprechern hören, weil die Bühne weit weg ist. Gegen 9 wird es dunkel. Prima, jetzt kann es losgehen, denken wir. Aber das wäre nicht im Sinne der Gesetzmäßigkeiten des Showbiz, nach dem dieses für uns nur akustisch wahrnehmbare Ereignis auf seinen Höhepunkt hingepeitscht wird. Die Livestimmen werden vom Boston Symphony Orchestra begeleitet, welches dann schließlich, nachdem wir alle die amerikanische Nationalhymne im Stehen gesungen haben, zu einem viertelstündigen klassischen Crescendo anhebt, und dann endlich (es ist inzwischen 22.30) das Feuerwerk. Keiner sitzt mehr, wer nicht frühzeitig sein Hab und Gut zusammengerafft hat, hat Pech gehabt: Die Zuschauer schieben sich im Festtaumel nach vorne zum Ufer, es wird eng. Die schönen, großen Bäume behindern unsere Sicht und wir bewegen uns auf der Suche nach einer besseren Fotoposition. Ein gigantisches Feuerwerksschauspiel baut sich im Himmel über uns auf und goldene, grüne, rote und blaue Farbkaskaden verwandeln den Himmel und die wie gebannt Hinaufstarrenden in ein flackerndes Lichtermeer. Nach gut  20 Minuten ist für uns alles vorbei, wir müssen schleunigst los, um unseren Bus nach Hause noch zu bekommen. Die Reflektionen des Feuerwerks in den Glasfassaden der Hochhäuser begleiten uns noch, bis wir schließlich in die Unterwelt der U-Bahn abtauchen.

Der Sonntag ist Stadteroberungstag für uns. Die Parkplätze sind kostenlos, weshalb wir mit der Harley hineinfahren und gleich am Boston Common, einem Park beim Parlament, einen Abstellplatz finden. Eine rote Linie aus Ziegelsteinen, der Freedom Trail, führt über eine Strecke von 4 Kilometern durch die Stadt und hin zu historisch bedeutsamen Stätten, hat doch Boston eine entscheidende Rolle in der Befreiung der Kolonien von den Engländern gespielt. Jeder hat schon einmal als Schüler von der Boston Tea Party vom 16.12.1773 gehört, dem Angriff auf 2 englische Schiffe, gefüllt mit feinstem Tee, der aber mit ärgerlich erhöhten Steuern belegt war. Als Indianer verkleidet entleerte eine rebellische Gruppe von Siedlern die kostbare Fracht ins Meer und löste so den Unabhängigkeitskrieg, den Revolutionary War, aus. Repliken dieser Schiffe liegen im Hafen der Stadt entlang dieses Trails, aber auch bespielsweise das Old State House, in dem die Unabhängigkeitserklärung unterschrieben wurde. Paul Revere oder Samuel Adams sind Nationalhelden, Namen, die man vielleicht schon einmal gehört hat. Letzteren kennt wohl jeder Amerikaner, aber vielleicht eher deshalb, weil eine bekannte Bostoner Brauerei seinen Namen trägt.

Wir lassen uns durch die Stadt treiben, finden einen irischen Pub, die Black Rose, mit Livemusik und genießen diese wunderschöne Stadtlandschaft, die langsam für uns ihre Zusammenhänge erschließt. Auch am Montag fahren wir mit dem Motorrad, erstehen für die folgenden 2 Tage ein Trolleyticket incl. Hafenrundfahrt und finden einen Parkplatz mit Parkuhr, der sich mit  2,50 $ preislich deutlich von den Parkhäusern mit ihren horrenden Gebühren unterscheidet.

Tags darauf die Hafenrundfahrt. Sie wird von dem größt möglichen Supergau überschattet, den wir uns vorstellen können: Wir kommen an kein Geld mehr. Während das Schiff ablegt, telefoniere ich mit der Bank in Deutschland und höre, dass meine Visakarte unter vielen anderen einem Hackerangriff zum Ofer gefallen ist und gesperrt wurde. Es stellt sich abends heraus, dass sie Gottseidank nicht missbraucht wurde. Wir haben natürlich eine 2. Karte, aber die liegt in unserer Wohnung, außerdem muss ich erst Geld darauf anweisen, was 1 Tag dauert. Tags darauf stelle ich fest, dass die Karte jetzt zwar gedeckt ist, ich aber nichts abheben kann, weil ich eine falsche Geheimzahl dabeihabe. Erst am dritten Tag heben wir Geld am Bankschalter ab, das geht ohne Pin…Aber zurück zur Schifffahrt: Die ist natürlich überschattet von unserem Missgeschick, aber dann trotzdem noch ganz nett, aber lang nicht so schön wie die in Miami.

Die Trolleyfahrt ist eher uninteressant, da wir fast alles schon per Pedes gesehen haben.

Unser vorletzter Tag steht immer noch im Zeichen unserer Mittellosigkeit. Wir suchen des Cinesenviertel, welches sich als sehr überschaubar entpuppt. Am interessantesten ist, dass wir an ein Filmset geraten, wo Dutzende von geschäftig herumrennenden Menschen einen Dialog abdrehen, dessen Akteure uns allerdings total unbekannt sind.Kaufen können wir nichts. Wie gut, dass wir noch etwas im Kühlschrank haben…

Am Donnerstag fahren wir mit der Harley , weil wir von unseren verbleibenden 35 $ nicht noch 15 $ für öffentliche Verkehrsmittel hinlegen wollen. Wir trauen dem Braten noch nicht richtig…ob die uns wirklich mit dem Pass Geld geben? Irgendwo finden wir einen toten Winkel und parken, ohne einen Strafzettel zu kassieren. Unser Bankenbesuch erlöst uns endlich von unseren Geldsorgen und nachher feiern wir ein bisschen in der Markthalle, wo wir uns leckere Wraps kaufen und an den unter der Kuppel stehenden Tischgruppen verzehren. Anschließend fahren wir dann zum Isabella Steward Gardener Museum, welches zu Beginn des 20.Jhds im Neorenaissancestil von besagter Dame errichtet wurde, um ihre umfangreiche Kunstsammlung unterzubringen. Das Gebäude, insbesondere der Innenhof, ist prächtig und man möchte dort in dem herrlichen Sonnenschein ein Tässchen Tee trinken, was leider nicht geht. Tatsächlich bietet die über  drei Stockwerke verteilte Sammlung neben weniger interessanten Stücken auch Bellinis, einen Leonardo und drei berühmte Rembrands, von denen leider zwei vor einigen Jahren gestohlen wurden. Aber das übrig gelassene Selbstbildnis des jungen Rembrands ist bereits den Eintritt wert. Schade, dass die Exponate in einer fürchterlichen Art und Weise präsentiert sind, weder hängungstechnisch noch inhaltlich oder kunstgeschichtlich, sondern in für uns fast unerträglicher Zufälligkeit sich gegenseitig erschlagen. Für das Kunstmuseum nebenan mit seinen herrlichen Babyköpfen, genannt „Night and Day“  von dem Spanier Antonio Lopez Garcia neben dem Eingang fehlt uns dann leider die Zeit und auch die Horde Wildgänse, die sich auf dem Rasen neben dem Museum niedergelassen hat, können wir nicht lange genug genießen: Wir müssen los, um zuhause unsere morgige Abreise vorzubereiten.

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