Frostiges Amerika

Oh, der Abschied von New Orleans fällt uns sehr schwer, und umgekehrt auch, denn den Himmel bedeckt heute ein trauriges Grau. Während ich noch ein paar Tränen vergieße, nähern wir uns wieder großen Wasserflächen, die via Brücken überquert werden müssen. Sie scheinen oft endlos zu sein. Das Delta ist sumpfig.

Schon bald verlassen wir Louisianas Grenze zum Staate Mississippi und sind endlich am Golf von Mexiko. Der schönste Abschnitt ist der Strand von Biloxi, linkerhand Traumvillen, rechts der feine weiße Sand, in den sich ab und zu Palmen verirrt haben, dahinter das silbern schillernde Meer.

Dann geht es zwischen Pinienwäldern durch den Südzipfel von Alabama bis kurz vor eine lange Brücke, die diesen Staat von Florida trennt.

Wir finden in einem Ort namens Lillian den KOA Campingplatz an der Perdido Bay, der verlorenen Bucht, die -wunderschön- jetzt im November ihrem Namen alle Ehre macht, und schlagen unser Zelt als einziges unten an einem dschungelhaft überwachsenen Gelände direkt am Strand auf, die anderen Gäste sitzen in ihren RVs in Officenähe oben auf dem Hügel.

Wir sind fast allein. Ein Angler weit vorne am Steg wird von einem Reiher besucht, der ihm sehr nahe kommt, ein Fischlein von ihm erbettelt und ihm nun nicht mehr von der Seite weicht. Kurios!

Der Blick aufs Wasser, die Stege und das Hausboot ist traumhaft. Gegenüber liegt Florida. Wenige Möwen und zwei weiße Pelikane fliegen vorbei und suchen ein Plätzchen für die Nacht, dicke große Fische springen in der Dämmerung über die spiegelglatte Wasseroberfläche.

Ich spüre, ich werde krank. Die Nacht wird frisch bei 11 Grad, ich liege zwar warm, aber fiebrig und schnupfig mit schweren Träumen und verstopfter Nase. Am frühen Morgen setze ich mich allein ein Weilchen auf den Steg. Da schwimmt doch platschend ein Delphin um mich herum, zwischen den Stegen nach Frühstück jagend. Bestimmt 15 Minuten rollt er immer wieder seinen grauen Rücken übers Wasser, ca 5 Meter vor mir vorbei bis er in der Ferne verschwindet. Ich bin beseelt! So glücklich schlüpfe ich wieder auf meine Luftmazratzen in den Schlafsack und nicke noch mal ein.

Der Vormittag fesselt mich mit Gliederschmerzen und Krankheitsgefühl in dieses Bett, das Internet sagt eine Kältewelle mit Nachtfrost voraus – Nachtfrost unter Palmen und Gummibäumen am mexikanischen Golf!

Martin bucht uns um in eine der Blockhütten auf dem Platz mit Heizlüfter und schafft unser Zeug hoch. Ich kann ihm nicht helfen, so elend fühl ich mich. In der Hütte ist es warm und gemütlich.

Die nächsten 5 Tage liege ich die meiste Zeit im Bett. Nur langsam verschwindet die Erkältung. Die Nächte, aber auch die Tage sind frostig. Martin holt Lebensmittel und 2 Angeln. Eisiger Nordwind wird die nächsten Tage das Wasser kräuseln und zu seinem großen Bedauern Fische und auch Seevögel vertreiben.

 

 

Einzig der Reiher, ab jetzt Graf Zausel, beehrt uns am Steg mit seinem Besuch und meckert, dass Martin nichts fängt und er nichts abbekommt, der faule Hund. Bis auf 1,5 Meter darf ich mich ihm beim Fototermin nach einigen Tagen nähern, aber nur, weil ich ihn am Abend zuvor mit einem geschenkten Köderfisch bestochen hab. Wir amüsieren uns köstlich.

 

Jeden Tag streicht ein rot-grauer kleiner Tiger um unsere Beine, und wir lernen auch Mousy und Noodle kennen.

Bei 12° wagen wir uns, dick angezogen, mittags in die nur schwach wärmende Sonne auf einen kleinen Strandspaziergang. Dort entdecken wir neben wunderbaren Kunstwerken, von der Natur geschaffen, einen endlosen Steg durch Dschungelgestrüpp, der an einer verlassenen Villa endet.

 

Das Spannendste aber ist eine Entdeckung, die wir in dem kleinen Dschungel am Ende einer Sackgasse machen: eine Voodoostätte mit Altar und Hütte, Knochen, Schädel, Federn, Strandgut, Kerzen und noch so allerlei. Unheimlich und interessant.

Die Nachrichten im Fernsehen erzählen von Schnee in Santa Fe, Eisstürmen und weiter fallenden Temperaturen, auch im Süden. Wir verlängern unseren Aufenthalt, bis das Thermometer wieder auf 17° steigt. Dann wagen wir, in viele Schichten gehüllt, die Weiterfahrt durch die Panhandle Floridas. Alle Bananenstauden entlang der Küste sind erfroren, braun, tot. Plötzlich sichten wir einen Tornado so nah, dass ich einen Schreck bekomme, zumal alle Autos vor uns stoppen oder umkehren und wir plötzlich allein auf der Straße sind.

Aber Martin, unverdrossen, saust weiter, und nach wenigen Meilen, auf denen uns kein Haar gekrümmt wird (abgesehen davon, dass sie eh im Helm stecken), halten wir vor einem süßen 150 Jahre alten 4-Zimmer-Hotel im Stile der Keys. Leider konnten wir nur 2 Tage buchen, da es am Wochenende bereits ausgebucht ist.

Der kalte Abendspaziergang zeigt uns, dass das Städtchen schon schwer im Winterschlaf liegt. Wir genießen noch ein Glas Wein im warmen, liebevoll gezauberten Ambiente nach altem Planatagenhausvorbild im „Wohnzimmer“ des Hotels (hier begegnet uns sogar der Kokopelli wieder), und fallen dann müde in das bequeme Bett unseres Flamingozimmers.

Der nächste Tag ist sonnig und wir unternehmen nach dem Frühstück in einem Diner am Strand, den der Bruder der Hotelbesitzerin mit seinem Lebensgefährten betreibt und für den wir Gutscheine bekommen haben, einen langen Strandspaziergang im weißen Sand am Golf. Den „Sundowner“ nehmen wir auf dem mit weißen Korbmöbeln ausgestatteten Balkon des Hotels mit Blick aufs Meer und den Hafen, durch die Blatter der Fächerpalmen hindurch.

Ach, wie schön ist die Welt, besonders ohne Frost!