Amish exklusiv

Auf meiner Wunsch-Todo-Liste ganz weit oben steht eine Amish-Tour, um ihre Kultur kennenzulernen. Darauf freue ich mich schon ein halbes Jahr.

Was wir für unsere Buchung bekommen, übertrifft jede Erwartung.

Der regnerische Tag führt uns erst mal in den 10.000 Villages-Laden, der wunderschöne Dinge aus fairem Handel anbietet. Ich könnte den halben Laden leerkaufen. Leider gibt es Null Platz im Kokopelli. Heul!

Dann aber auf zu den Amish.

Am Abend zuvor hat uns Linda eine interessante Dokumentation auf DVD gezeigt, wo wir schon vieles über deren Leben erfahren haben.

Sie unterrichten ihre Kinder in Ein-Raum-Schulen, wie früher bei uns auch auf dem Lande üblich. Die Lehrmethode ist motivierend, die Lehrkraft ist liebevoll unterstützend und hilft den Kindern, gut zu sein. Ebenso ist die Erziehumg der Eltern angelegt. Streit und Krieg kennen die Amish nicht. Sie gehen nicht zur Armee und möchten keine höhere Bildung für ihre Kinder, nur die nötigen 8 Klassen Grundschule, dann sollen die Jugendlichen in die Landarbeit, denn diese ist gottgefällig und daher anzustreben. Nur wer in und mit der Natur arbeitet, ist Gott nah.

Der strenge Glaube geht auf die Abspaltung von der protestantischen Kirche durch den Schweizer Jakob Amann zurück, dem der mennonitische Glaube noch zu weltoffen war. Wer mehr davon erfahren möchte: „Amische“ auf Wikipedia….

Sie lehnen den technischen Fortschritt grundsätzlich ab, finden aber nach gründlicher Prüfung in der Gemeinschaft auch Wege, ihn dennoch in Ansätzen zu nutzen.

Das wichtigste ist die religiöse Gemeinschaft, die vor den individuellen Bedürfnissen Vorrang hat. Jedoch gehört man zu der Gemeinschaft erst nach der Taufe, die in den frühen 20ern stattfindet – nach gründlicher persönlicher Gewissensprüfung in freier Entscheidung des Einzelnen. Mit 16 Jahren beginnt für die Jugendlichen, Jungen wie Mädchen, die Zeit des „Rumspringer“, wo sie am modernen Leben teilnehmen dürfen, tanzen, rauchen, Alkohol trinken, sich mit dem anderen Geschlecht verabreden u.s.w. Sie sollen jenes andere Leben kennenlernen, um danach die Richtung ihres eigenen frei zu wählen. Interessant ist, dass doch 80 bis 90% sich für die Taufe und das arbeitsreiche Amish-Leben entscheiden. Dafür müssen sie dann auf den Besitz von Fotokamera, Handy, TV, Elektrogeräte aller Art und Autos, ja selbst Fahrräder verzichten, nur Roller sind den Kindern erlaubt. Und sie können nie mehr aus der Glaubensgemeinschaft austreten, denn sonst würden sie ein- für allemal ausgeschlossen, sowohl aus der Gemeinschaft wie aus ihrer Familie.

Die Amish essen Fleisch, die Männer können rauchen. Die Familien haben meistens mindestens 7 Kinder, was dann allerdings deren Zukunft schwierig macht, denn das Land kann nicht 7 Familien der nächsten Generation ernähren, und viele junge Leute sind gezwungen, in Fabriken zu arbeiten, obwohl die Väter immer versuchen, Land dazu zu kaufen.

Um halb 5 Uhr abends geht es nun mit dem Motorrad die 10 Meilen durch den Regen, jedoch durch das wunderschöne weite Agrarland der Amish. Hin und wieder sind uns schon die kleinen schwarzen, von Pferden gezogenen Wagen auf der Straße begegnet. Jetzt sehen wir sie gehäuft. EIne kleine Mennonitenkirche, ein winziges Schulhaus, ein kleiner Friedhof am Straßenrand.

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Wir erreichen das Amish- Besucher-Zentrum. Um 5 Uhr soll Diana den Kleinbus starten, die Teilnehmerzahl für diese Tour ist auf 14 begrenzt. Drei Familien sollen wir besuchen dürfen. Und siehe da, wir beide sind die einzigen Teilnehmer an diesem Tag. Super! Amish exklusiv!

Die sympathische Diana fährt uns Meilen durch das verregnete Land und erweist sich als sehr gute Führerin mit viel Hintergrundwissen. Nach längerer Fahrt erreichen wir einen Bauernhof mit einem gepflegten, blitzsauberen Stall. Der älteste Sohn begrüßt uns freundlich, der Vater allerdings lässt sich durch uns zwei Touristen nicht beeindrucken und geht nach kurzem Kopfnicken seiner Arbeit nach. Wir sehen ihn drei Stunden später bei der Rückfahrt in schwerer Wollkleidung mit dickem Filzhut, die ihn vor dem strömenden Regen schützen soll, den Acker mit Pferd und Pflug bearbeiten. Auch moderne wasserdichte Kleidung, wie alles Chemische lehnen die Amish ab.

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Zwei jüngere Buben mit dem typischen Haarschnitt – Topf aufgesetzt und rundherum geschnitten – schleppen schwere Eimer, misten den Kuhstall aus etc. Die Kühe entspringen einer seltenen belgischen Rasse. Sie sind vorn und hinten schwarz, in der Mitte weiß. Die Milch wird mit Vakuum-Maschinen gemolken, denn Amish haben keine Elektrizität, zumindest nicht im Haus. Dennoch gibt es ein Telefon, jedoch nur im kleinen Hofladen, wo Butter und exzellenter Käse, Marmeladen und anderes Eingekochtes – alles Bio – angeboten werden. Eine Milchflaschenabfüllanlage wird mit DIeselkompressor und Vakuumpumpe betrieben.

Weiter gehts zu einer ganz reizenden, jungen Familie, Chris und Naomi Stoltzfus mit ihrer kleinen Tochter und den zwei kurzbeinigen Corgies, die nie stillhalten. Sie lassen uns ohne weiteres einen Blick in ihr gemütliches, blitzsauberes Heim werfen, ebenso wie in den Schuppen, in dem ein einziges Pferd und ein Käfig voller Kaninchen steht. Sie versuchen, ihren Unterhalt mit der Herstellung von Nussbutter aus verschiedenen Nüssen und Mandeln sowie von Maisfladen zu bestreiten. Die Butter schmeckt herrlich.

Die kleine Amy mit ihren anderthalb Jahren ist goldig, und sie darf auch mit Plastikspielzeug spielen.

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Und da überrascht uns Naomi mit einer Bitte: Wir möchten doch ihre Tochter fotografieren und ihnen das Bild über die Amishzeitung zukommen lassen. Dazu muss man wissen, dass die Amish sich nicht fotografieren lassen dürfen. (Die Fotos hier sind heimlich aus der Hüfte gemacht.) Wie kann das sein? Die Erklärung ist simpel. Amy ist noch kein Mitglied ihrer Kirche, erst nach der Erwachsenentaufe. Gerne erfüllen wir den jungen Eltern ihren Wunsch!

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Wir hören, dass viele der jungen Leute gern eine Kamera hätten, dass sie aber der „Ordnung“, den Regeln, Geboten und Gesetzen der Gemeinschaft, gehorchen und darauf verzichten (müssen). An unserem Leben zeigen Naomi und Chris großes Interesse. Wir bekommen ihre Adresse und wollen ihnen unbedingt aus Deutschland schreiben.

Den Abschluss dieser interessanten Tour macht ein Besuch bei Hanna und John Miller, einem Paar in unserem Alter, die ihren Hof schon an einen Sohn übergeben haben und im Austragshaus wohnen. Dennoch arbeiten beide noch fleißig mit. Der Gemüsegarten ist tiptop in Schuss, ebenso wie das Haus. Man sieht, es sind fleißige Leute. Draußen hängt die Wäsche im Wind an der Leine, schwarz, dunkelblau und grau, gedeckt und schmucklos, wie die „Ordnung“ es verlangt. Hanna und John kommen uns entgegen und führen uns in ihr Haus.

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SIe wirkt energisch, ist aber ihrem John, ein lieber, fröhlicher ruhiger Mann, untertan. So sitzen wir drei, Diana, Martin und ich in der geräumigen Küche und stellen erstmal einige Fragen. Viel wichtiger ist jedoch, auf Hannas und Johns Fragen zu antworten. Wir erzählen unter anderem von Deutschland und auch von unserer Motorradtour. Die beiden sind höchst angetan, und John holt mit leuchtenden Augen eine einfache Karte der Staaten der USA. Wir erklären unsere Route. Da bleiben doch die Münder offen. Allerdings waren die beiden nach der Hofübergabe schon mal bei einem Amishtreffen in Arizona, was ungewöhnlich ist, denn Amish kommen meistens nur so weit wie ihre Pferde sie an einem Tag ziehen. Sie waren mit dem Bus unterwegs und dürfen wohl in einem Auto mit- aber nicht selbst fahren.

Wir sprechen englisch. Jedoch sprechen die Amish untereinander Pennsylvanian Dutch, wobei das „Dutch“ eine Art Deutsch ist und nichts mit Holland zu tun hat. Es erinnert an das Platt im Norden, und wir hören, dass es da vor mehr als hundert Jahren auch viele Amische gegeben hat. Die dunkle Kleidung mit den großen Hüten erinnert uns stark an Theodor-Storm-Verfilmungen oder die Buddenbrooks. John holt ein Gesangbuch hervor – es wird viel gesungen bei den Amish – und wir identifizieren geistliche Lieder in älterem Deutsch, die die Amish in ihrer Kirche singen. Diese ist kein Gebäude, sondern eine Institution; das samstägliche Zusammentreffen (statt unseres Sonntags der „geheiligte“ Sabbat) findet in großen Familienhäusern statt. DIe Worte der deutschen Gesänge verstehen die meisten nicht, auch wenn sie die Bedeutung kennen, was uns an unsere frühere lateinische Liturgie erinnert.

Hanna und John zeigen uns die Stammbäume an den sonst bilderlosen Wänden, handgemalt oder gebastelt. Die beiden haben 35 (!) Enkel.

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Plötzlich ertönt hinter uns eine moderne Uhr mit Spielwerk und spielt „Killing me softly“. Wir müssen uns das Lachen verbeißen, denn Amish kennen diesen Song sicher nicht.

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Es ist 8 Uhr abends und wir müssen gehen, sind wir doch schon eine halbe Stunde überfällig. Wir haben das Gefühl, die beiden würden uns am liebsten noch dabehalten, haben wir doch frischen Wind in ihre festgelegte Alltagsstruktur gebracht, was sie und auch unsere Führerin sichtlich genossen haben. Schnell noch geben sie uns ihre Adresse und versichern, sie würden sich sehr freuen, unsere Post aus Deutschland zu erhalten.

Auf der späten Heimfahrt erzählt uns Diana, dass diese Amishfamilien gegen einen kleinen Obulus oft volle 14 Personen in ihr Haus lassen, und – wie traurig und intolerant – manche Touristen versuchen, sie ihrer altertümlichen Lebensweise und des Glaubens wegen fertig zu machen. Die sollten sich schämen und sich an den freundlichen und liebevollen Amish ein Beispiel nehmen. Diese natürliche, friedvolle, glücklich wirkende Gemeinschaft hat – mit allen Merkwürdigkeiten – dennoch etwas durchaus Faszinierendes! Mich beeindruckt, wie konsequent sie nach ihrem Glauben und der „Ordnung“ leben.

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Vor etwa 5 Jahren kamen die Amish hier in die Schlagzeilen: ein mit drei Feuerwaffen, 600 Schuss Munition, Elektroschocker und zwei Messern bewaffneter junger Amerikaner, Familienvater, drang in eine Amish-Schule ein, pickte einige Mädchen raus ließ alle anderen gehen, erschoss fünf Mädchen und dann sich selbst. Das Leid war groß. In einem übermenschlichen Akt des Verzeihens nahm die ganze Gemeinschaft, auch die Eltern der Erschossenen, an der Beisetzung des Mörders teil, um ihre Trauer mit dessen Hinterbliebenen zu teilen und Mitgefühl zu zeigen. Man stelle sich das vor!

http://m.welt.de/vermischtes/article157746/Die-Amish-beerdigen-ihre-Kinder-und-beten-fuer-den-Moerder.html