100 Meilen Einsamkeit – Route 104 nach Tucumcari

Auf der Interstate gelangen wir von Santa Fe aus nach 50 Meilen nach Las Vegas, einer Westernstadt, die den zweifelhaften Ruf besaß, die „Schießwütigste“ zu sein. Billie the Kid und Jesse James trieben sich hier herum, Wyatt Earp war hier Sherrif und Doc Holiday hatte hier seine Zahnarztpraxis, bevor er einen Revolverhelden namens Mike Gordon im Duell erschoss und vor der Lynchjustiz der Einwohner flüchten musste. Die Stadt dient immer wieder als Filmkulisse, auch für Easy Rider. Das historische Las Vegas hat durchaus architektonische Schönheiten. Jedoch drängt sich uns der Gedanke „Endstation Sehnsucht“ auf, auch wenn Wikipedia was anderes sagt. Der grüne Saloon im Hotel am Platz wird grad renoviert. Viele Gebäude sind heruntergekommen und zugenagelt. Der Lack ist ab. Und es ist kein Leben in den Straßen während unseres Aufenthalts. Wir möchten in ein kleines Cafe, um einen Espresso zu trinken. Das Cafe finden wir nach intensivem Suchen, den Espresso kriegen wir nicht. Dünner Cafe, eine Cola, ein Thunfischbrötchen. Und dann noch schnell in den Restroom. Wow, der einzige unsaubere bisher: Eine total verdreckte Badewanne, ganz zu schweigen von der Toilette. Schwarz verklebte Türgriffe und Türblätter, nur die Bildchen von historischen Badewannen sind goldig. Ausgerechnet dasjenige, das über der total versifften Badewanne hängt, trägt die Aufschrifft „Refresh“. Nein Danke! Nicht hier. Die alten Damen da draußen, die uns in ihren schmuddeligen Kittelschürzen bedienen, haben wohl auch schon lang nicht mehr darin „refreshed“.

Im Nachhinein ekelt es mich, aber das Brötchen ist schon vertilgt. Montezuma, bleib bloß weg. Wir verlassen fluchtartig das Cafe und eilen zurück zum Parkplatz, wo uns ein Musikinstrumentenverkäufer noch eine zusammenklappbare Gitarre andrehen möchte, nachdem wir – natürlich – über die vor seinem Geschäft geparkte Harley ins Gespräch gekommen sind.

Von Las Vegas aus nehmen wir den Highway 104 nach Tucumari. Wieder eine Traumstraße, aber ganz anders. Die ersten 50 Meilen weites gelbes Grasland, und Grasland, und Grasland…keine Erhebung, so weit das Auge reicht, ein Gelb bis zum Horizont. Zwei Springböcke gucken uns neugierig nach.

Nach 50 Meilen senkt sich das Land dann in die Ebene hinunter, erst mal flaches Baum- und Buschland, mal wenige Kühe erkennbar hinter Gebüsch, dann niedrige Krautpflanzen zwischen gelb blühenden Kakteen …

… und plötzlich steht er da, stolz, geschmückt, mitten im Nichts, weit und breit keine Zivilisation erkennbar …

…der Weihnachtsbaum! Welcher Clown ihn da hindrapiert hat, wir wissen es nicht und werden es nie erfahren, aber er wird immer in unserer Erinnerung bleiben. Wir müssen so lachen!

Dann erheben sich mal wieder Tafelberge wie Denkmäler im Buschland. Noch etwa 50 Meilen nach Tucumari. Ein Stausee. Man fasst es kaum. Gedecktes Grün, feuerroter Sandstein und der strahlend blaue Himmel. Welch ein Farbenspiel, durch welches wir hier gleiten dürfen! Und auf diesen ganzen 100 Meilen begegnen uns sage und schreibe 11 Autos.

Endlich Tucumcari ? Nein, leider. Die Strecke war zu schön.

Jedoch ein charmanter Ort verblichener Schönheit – alte Werbeschilder erzählen noch vom einstigen Ruhm – einst eine wichtige Station an der Route 66 mit unzähligen Tankstellen, alle geschlossen oder anderweitig umgebaut  – wir haben Mühe, irgendwo Benzin zu finden. An der ewig langen 66er Ortsdurchfahrt entdecken wir noch einige Motels, die vom Revival der „Route“ profitieren, und wir ziehen ins Historic Route 66 Motel ein, das 1963 im Bauhausstil gebaut wurde und nach wie vor weitgehend original erhalten ist. Merkwürdig, wie zeitlos die Moderne aus dieser Zeit ist.

Für unsere Fotosafari müssen wir der großen Entfernungen wegen aufs Bike steigen, bevor wir uns mit einem dicken T-Bone Steak belohnen und im Bauhausenvironment traumhaft schlafen und schon wieder ein Tag voller herrlicher  Eindrücke nachwirkt.